Skip to main content

Witwentreff mit Jane Kerrison

Witwentreff mit Jane Kerrison
Fast alle Witfrauen, die am Jahrestreffen ihrer Gruppierung teilnahmen, haben früher selber eine Geburt erlebt.

Wie sieht «der Beruf aller Berufe» heute aus? Darüber informierte Jane Kerrison, die seit 35 Jahren Frauen hilft, Mutter zu werden. Die Arbonerin ist selber dreifache Mama; sie setzt sich zum Teil in einer Zürcher Klinik als Hebamme ein. Ihre beruflichen Schilderungen sind durchwegs derart fesselnd, dass man ihr stundenlang zuhören möchte. Jede einzelne Geburt scheint sich in der Erinnerung der Hebamme samt den Beteiligten sowie speziellen Facetten verankert zu haben. In Zürich erlebt Jane Kerrison viele Geburten von Paaren aus anderen Kontinenten, Nationen, Sprachen und Religionen. Die Erfahrungen im Gebärzimmer sind vielgestaltig, von der Hebamme wird Überblick, Einfühlung, Mut, Schlagfertigkeit und manches mehr erwartet. Halbwissen junger Schweizer Väter ist meist nicht zielfördernd. Besonders bedeutsam sind Begegnungen mit jüdisch-orthodoxen Eltern. Aufgefallen ist der Hebamme, wie gut jüdische Frauen ausser Hebräisch und Jiddisch weitere Sprachen beherrschen, während der Austausch mit anderen Nationen oft kaum möglich ist – weil das gemeinsame Idiom fehlt.

Was Wehen aktiviert
Als eine Geburt nicht vorankam und die jüdische Gebärende mit Musik abgelenkt werden sollte, bat Kerrison den Vater, ein religiöses Lied (aus der Synagoge?) zu singen. Das half. Die Witwengruppe bekam das Lied und die aussergewöhnlich schöne Singstimme sogar noch zu hören. Und dann das: Die Hebamme darf mit jüdischorthodoxen Vätern keinen Blickkontakt haben, und der Papa soll (wegen Blutungen, ergo Unreinheit) bei der Geburt nicht helfen. Orthodoxe Juden sind oft kinderreich, ihr Glaube verlangt, «kein Kind zu verhindern.» Da wurden bei älteren Zuhörerinnen bestimmte Erinnerungen wach.

Koran: Zwei Jahre lang stillen
In nordafrikanischen Familien kann es vorkommen, dass die Grossmutter gleichzeitig mit der jungen Generation selber noch ein Baby hat – und je nach Situation halt beide Säuglinge zur Brust nimmt. Auch Schweizerinnen erleben so manches. Eine Thurgauerin lebte in Afrika. Als ihre Regel aussetzte, suchte sie einen Arzt auf. Der sagte ihr, sie sei zwar erst 40, aber das Klimakterium habe halt so früh eingesetzt. Zurück in der Heimat erfuhr sie beim Gynäkologen, sie sei schwanger – und habe gesunde Drillingsbuben im Bauch. Jane Kerrison zum Schluss: «Die Herausforderung für eine Hebamme ist Tag und Nacht gross. Doch mein Beruf wird für mich mit jedem Jahr schöner. Hebamme sein – das ist eher eine Berufung.»
Hedy Züger

Hedy Züger
Beitrag erstellt: 21. Dezember 2023