Wallfahrt in heutiger Zeit

Die Idee kam aus dem Pfarreirat Arbon. Ob sich nach 6 Jahren Unterbruch und Corona und den Missbrauchsfällen Leute zu einer Wallfahrt bewegen lassen, darauf waren wir gespannt. Doch 40 Teilnehmende waren dann doch eine schöne Zahl. Die Form einer Wallfahrt ist heute auch im Wandel. Traditionell gehörte früher ein kürzerer oder längerer Fussmarsch mit Rosenkranzbeten dazu, dann der Gottesdienst in der Wallfahrtskirche, nachher das gemeinsame Mittagessen und eine Dankandacht vor der Heimkehr; die meisten dieser Elemente haben wir auch in unsere Wallfahrt aufgenommen.
Wallfahren oder Pilgern
Die beiden Begriffe werden im Deutschen sprachlich unterschieden, in anderen Sprachen bedeuten sie das Gleiche. Ein kleiner Unterschied kann schon gemacht werden: Die Wallfahrt hat ein Ziel, das ist eine heilige Stätte, eine berühmte Kirche. Wenn man nicht fährt, geht man bei einer Wallfahrt geordnet und gemessen dem Ziel entgegen, so wie in einer Prozession. Pilgern aber kann jeder Mensch allein oder auch in einer
Gruppe, schweigend gehen die Pilger ihren Weg – so wird es jedenfalls angeraten. Und nicht nur das Ziel ist wichtig, sondern genau gleich der Weg dorthin, was zum geflügelten Wort geführt hat: Der Weg ist das Ziel. Eine Unterscheidung ist eigentlich nicht sinnvoll: nicht entweder – oder, sondern sowohl – als auch.
Pilgernde Heilige
Schon ganz am Anfang der Bibel steht ein Pilger, nicht ganz freiwillig; Abraham wird von Gott herausgerufen: «Geh fort aus deinem Land und aus dem Haus deines Vaters in das Land, das ich dir zeigen werde.» In der Schweiz hat sich 1467 ein Gottessuchender von Familie und Heimat getrennt und sich auf einen ungewissen Weg gemacht: Niklaus von Flüe. Vor Liestal wurde er zurückgerufen, auf den Weg in den Ranft, unweit seiner Heimat. Uns in Arbon ist ein anderer Pilger noch näher: Gallus. Im 7. Jahrhundert verliess er Irland, um den christlichen Glauben in verschiedenen europäischen Ländern zu verkünden. Im Steinachtal fand er sein Ziel, mit dem Kloster St. Gallen wurde ein bedeutender Ort der Glaubensverbreitung geschaffen. Auch Maria von Magdala, eine erste Zeugin der Auferstehung Jesu, machte sich als Pilgerin nach Südfrankreich auf – damals eine gefährliche Reise –, um dort den Glauben an Jesus Christus zu verkünden.
Warum pilgern?
Was bewegt Menschen zum Pilgern? Auch nicht unbedingt religiöse Menschen brechen auf, die Schauspielerin Jane Fonda, der Entertainer Hp. Kerkeling; über ihre Pilgererfahrungen haben sie je ein interessantes Buch geschrieben. Wohl bei allen gibt es einen gemeinsamen Auslöser: Diese Menschen sind auf der Suche nach dem Sinn, sehnen sich nach einer Veränderung oder stecken in einer schlimmen Lebenskrise oder möchten einen Schicksalsschlag verarbeiten. Und wer den Jakobsweg unter die Füsse nimmt, weiss, dass er lange unterwegs ist, körperliche Schmerzen aushalten muss, nicht den gewohnten Komfort um sich hat und sich nicht nur mit Menschen umgeben kann, die einem passen. Manchmal möchte man aufgeben, abbrechen, zurück ins normale Leben – und dann durchzuhalten, nicht nur sportlich, sondern auch spirituell, das kann eine ganz wichtige Pilgererfahrung sein.
Eine gute Gemeinschaft erleben
Die bekanntesten Wallfahrtsstätten unserer Kirche sind die Gräber der Apostel Petrus und Paulus in Rom, das Grab des Apostels Jakobus in Santiago de Compostela und die heiligen Stätten in Israel, im Heiligen Land. Noch sympathischer sind vielen Pilgernden die Marienwallfahrtsorte in Lourdes, in Fatima und in Međugorje, ungeachtet ob die Marienerscheinungen einer wissenschaftlichen Prüfung standhalten. Etwas anderes steht im Vordergrund: die Gemeinschaft, die Möglichkeit, seine eigenen Erfahrungen mit anderen kranken, gebrechlichen und sonstwie leidenden Menschen zu teilen – das tröstet, schenkt neue Kraft und gibt neuen Lebensmut. Andere Menschen haben das gleiche Schicksal zu tragen, ich bin nicht die einzige mit dieser Lebenssituation, auch ohne Heilung hat mein Leben einen Sinn – das sind tiefe Glaubenserfahrungen.
Der Mensch – ein Pilger
Es gibt wie zwei Zugänge zum Sinn des Pilgerns. «Panta rhei» – dieses Lebensprinzip hat der griechische Philosoph Heraklit für sich gefunden, als er einen Fluss betrachtet hat. Unsere Lebensweise führt weiter, jeden Tag, und wir können den Strom des Lebens nicht aufhalten, aber wir können ihm einen Sinn geben. Das Pilgern erinnert uns daran, dass unser Leben ein abschiedliches ist: Wir nehmen Abschied in verschiedenen Lebensphasen, von lieben Mitmenschen, von Wünschen und Idealen, von vertrauten Zeiten und Orten. Das ist ein Weg zu unserer Mitte und lässt uns auch spüren, wieviel Freude und Kraft uns das Leben verleiht. Der zweite Zugang ist im Glauben begründet: Ich glaube, dass mein Leben, diese Welt nicht einem blinden Zufall entsprungen, sondern von Gott geschaffen und uns geschenkt ist. Und so bin ich auch getragen und geschützt im Vertrauen, dass Gott der treue Hirte in meinem Leben ist, der meinen Weg mitgeht, mich schützt und mir die Kraft gibt, auch in schwierigen Tagen nicht aufzugeben und zu verzweifeln. Und dann hat das Pilgern einen tiefen Sinn: Wir gehen einem guten Ziel entgegen, mit jedem Schritt und auf allen Wegen.