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Enkel ohne Gott

10. Januar 2025
Dieser Titel stand über dem Artikel in einer christlichen, kritischen und unabhängigen Zeitschrift in Deutschland.

Wir ahnen, was damit gemeint ist: Die Eltern vor zwei Generationen, die noch mit dem traditionellen Glaubensbild vor dem 2. Vatikanischen Konzil (1962-1965) aufgewachsen sind, haben ihren Kindern zu Hause – mit Tischgebet, Fastenbräuchen und dem Nachtgebet vor dem Schlafen – und vor allem mit der Praxis der Pfarrei den Glauben weitergegeben in der Hoffnung, dass dies ein Fundament sei, das so weitergepflegt wird, mit Kirchgang am Sonntag, mit Sakramentenempfang, mit Teilnahme an pfarreilichen Anlässen. Und dann erleben sie, dass ihre Kinder eine andere Auffassung von Glauben und eine grössere Distanz haben zur Pfarrei, in der sie wohnen. Es ist nicht eine bewusste Abkehr von Kirche und Pfarrei. Und die Eltern halten den Glauben schon noch für wichtig, aber das müssen und wollen sie nicht mehr nach aussen sichtbar machen. Wenn bei ihren eigenen Eltern in einem Dorf noch darauf geachtet wurde, wer am Sonntag in der Kirche war, so ist dies
bei den Kindern gar kein Kriterium mehr. Die Gross-eltern registrieren diese Distanz, das lässt sie nicht kalt, bereitet ihnen Mühe und sie fragen sich, was sie falsch gemacht haben, dass ihre Kinder nicht die gleiche Beziehung zu Glauben und Kirche haben.

Wie reagieren
Eher die Frauen, Mutter und Tochter, tauschen sich vielleicht über diese Fragen aus, es ist auch keine heftige Konfrontation, aber eine leise Enttäuschung der Mutter schwingt schon mit; die Tochter versucht das aufzufangen mit der Bemerkung, dass die Zeiten sich auch in der Kirche geändert haben und dass die Kirche in vielen Dingen schon noch rückständig sei – was die Mutter dann auch zugibt. Die Männer machen den Glauben weniger zum Thema, weil sie spüren, dass da grundsätzlich andere Ansichten aufeinanderprallen könnten. Da lässt man es lieber bei der toleranten Ansicht bleiben: «Ja, ihr müsst selber wissen, was für euch stimmt.» Da ist bei allen Beteiligten eine gute Grundeinsicht zu erkennen: Glaube und eine entsprechende Praxis lassen sich heute nicht mehr befehlen (wohl auch früher nicht). Nur ist dann die Frage, ob dieses Thema ganz tabu ist: Wir reden nicht mehr darüber, das Problem aber ist nicht aus der Welt geschafft. Grosseltern fragen sich dann, ob sie zu wenig getan haben, um den eigenen Kindern den Glauben nahezubringen. Und sie kommen zur grundsätzlichen Einsicht: Man kann Kinder nicht erziehen, man kann nur ein Beispiel geben.

Den Glauben weitergeben – aber wie?
Religionspädagogen befassen sich mit dieser Frage und setzen grundsätzlich an. Vieles bröckelt weg, der Bezug zur Kirche vor allem. Doch die religiöse Dimension des Menschen sei davon nicht betroffen, denn die grossen Fragen bleiben die gleichen. Schon kleine Kinder stellen diese Fragen: Warum feiern wir Weihnachten? Wenn wir sterben, was passiert dann mit uns Menschen? Und was ist gerecht und was ungerecht? Wer sich als religiös bezeichnet, gibt religiöse Antworten. Grosseltern und Eltern können da unterschiedliche Sichtweisen einnehmen. Früher hat die Kirche die Antworten vorgegeben, heute soll ein anderer Weg beschritten werden. Ein Religionspädagoge sagt es so: «Das Beste, was ich einem Kind tun kann, ist, ihm beizubringen, selbst zu fragen und selbst Antworten zu finden.» Denn der Mensch von heute brauche die Kirche nicht mehr. Dann stellt sich aber die Frage, ob und wie denn ein Religionsunterricht heute noch den Bezug zu Glaube und Religion schaffen kann.

Werte als Glaubensinhalte
Dass die Weitergabe von kirchlichen Traditionen nicht mehr im Zentrum steht, ist eine Tatsache, die von Grosseltern oft schmerzlich erlebt wird. Eine Untersuchung in mehreren Ländern hat ergeben, dass der Glaube selbst nicht so stark weitergegeben wird wie etwa christliche Werte. Das sieht auch eine Grossmutter so: «Ein christlicher Grundwert ist für mich, dass man versucht, demütig zu sein und andere Menschen gut zu behandeln. Das ist mir mitgegeben worden.» Das können aber auch andere Institutionen. Die Kirche hat aber in dieser Hinsicht doch einen bleibenden Auftrag und einen eigenen Ansatz. Dass viele von uns positive Gemeinschaftserfahrungen in der Kindheit gemacht haben, hat mit der Botschaft des Evangeliums zu tun. Jesus hat nicht die Befolgung aller jüdischen Gesetze verkündet, sondern dass alle Menschen von Gott angenommen und geliebt sind. So hat er Menschen am Rande in die Gemeinschaft zurückgeführt und ihnen Hoffnung und Lebensmut geschenkt. Und wie sollen kranke und leidende Menschen ihr Schicksal tragen, wenn sie nicht getragen sind vom Vertrauen, dass Gott sie nicht vergessen hat? So wird der Glaube für den Menschen auch in Zukunft eine Hilfe sein, den Lebensweg mit allen Fragen und Sorgen zu gehen im Vertrauen, dass wir getragen sind von der göttlichen Geistkraft.

Wie weiter …
«Der Glaube verdunstet», so warnen manche Kirchenleute. Wie die Kirchen, nicht nur die katholische, in zwei Jahrzehnten aussehen werden, lässt sich nicht eindeutig sagen. Wohl werden es weniger Kirchenmitglieder sein, die Formen von Gottesdiensten werden sich auch wandeln, aber der Glaube als lebendige Kraft auch in einer Welt und Gesellschaft, die nicht mehr religiös geprägt ist, wird sich nicht in Luft auflösen. Wahrscheinlich wird es wieder mehr sein wie in der Urkirche: Nicht automatisch ganze Familien aus Tradition bilden die Kirche, sondern vermehrt einzelne Menschen, die sich bewusst für den christlichen Glauben entscheiden und diesen auch im Alltag leben wollen, ohne sich aber sofort in einer Pfarrei
zu engagieren. Entscheidungschristentum kann man das nennen, der Glaube steht im Mittelpunkt. Und so ist die Grossmutter dann auch versöhnt, wenn sie sagt: «Irgendwas ist doch noch da, bei unseren Kindern und auch unseren Enkeln. Das tut uns gut.»

Matthias Rupper