Von Otterbraten und Wasserschweinen

Allein das Wort erzeugt schnell eine Reaktion der Abwehr, denn Fasten ist im Kopf schnell verbunden mit Verzicht und auch das ist eher negativ belegt. Warum freiwillig auf etwas verzichten? Macht das Sinn? Im gemeinsamen Gespräch fanden wir schnell die Fragen: «Hat Fasten immer mit dem Essen zu tun», «Wie halte ich die 40 Tage der Fastenzeit durch, wie besiege ich den inneren Schweinehund?», «Wie hängen Fasten und Umkehr zusammen?», «Was ist richtiges Fasten».
Spannend war zu hören, wie sich das Thema Fasten im Laufe der Jahrhunderte entwickelt hat, wie sich die Worte Umkehr, Busse, Fasten, Opfer verändert haben. Das Wort Fasten dürfen wir nicht auf den Verzicht auf bestimmte Lebensmittel eng führen. Das zeigt der Blick in die Geschichte. Da war Fasten erst einmal eine ganzheitliche Form des Gebets, Fasttage waren Tage, an denen man sich ganz besonders intensiv auf Gott konzentriert hat. Das junge Christentum übernahm das Fasten aus dem Judentum und hielt zwei Tage die Woche inne, um sich auf Gott auszurichten und sich an den Tod Christi zu erinnern. Bis zum dritten Jahrhundert entwickelte sich die Fastenzeit, wie wir sie heute kennen, die 40 Tage, die sich in vielen biblischen Geschichten widerspiegeln. Im Mittelalter begann man in der Westkirche die Fastenzeit in ein Regelwerk zu fassen, was teils absurde Ausmasse annahm. Dass damit auch das Verständnis für das Fasten verloren ging, zeigt, wie die Regeln interpretiert wurden. Es war verboten, warmblütiges Fleisch zu essen, Fisch hingegen war erlaubt. Und Fisch ist alles, was im Wasser lebt oder was man im Wasser findet. So erklärte man kurzerhand Otter und Biber zu Fischen und verarbeitete sie zu einer fetten Fastenspeise, oder noch absurder: Man warf Ferkel in Brunnen und Gewässer und kochte die sogenannten «Wasserschweine».
Die schwäbische Maultasche hiess auch «Herrgottsbescheisserle», weil man Fleisch so verarbeitete und unter Gemüse in Teigtaschen versteckte, dass das Fleisch nicht mehr erkennbar war. Was uns heute vielleicht zum Lachen bringt, zeigt, dass der Sinn des Fastens, nämlich sich bewusst Gott zuzuwenden, also umzukehren, nicht mehr verstanden wurde. Regeln wurden nicht eingehalten, was dann zu Strafen führte. So war im Busskatalog festgelegt, bis zu wieviel Gramm Fleischgenuss es eine «lässliche Sünde» war und ab wieviel Gramm man eine «schwere Sünde» zu beichten hatte. Schon Jesus hatte keine Freude an solchem Regelwerk, schon er kritisierte, dass der Sabbat für den Menschen da ist und nicht der Mensch für den Sabbat. Es geht um das Innere, um die Umkehr des Einzelnen und der ganzen Kirche hin zu Gott. Das Fasten braucht die innere Haltung, die nicht Regeln erfüllen will, sondern zur Erkenntnis und Liebe führen.
Fasten hat verschiedene Aspekte: Man setzte sich bewusst einem Mangel aus und schaut, was in einem passiert, was hochkommt an innerer Leere, an Süchten, an Sehnsüchten. Man setzt sich ein kleineres Mass, um das zu verschenken, was an Geld oder an Zeit übrigbleibt. Man gibt sich durch Verzicht auf Zeitfresser (Fernsehen, soziale Medien, Handy, Kreuzworträtsel) mehr dem Gebet hin, und auf der Suche nach Gott findet man immer sich selbst und reflektiert sein Verhalten. Umkehr heisst das, Hinwenden zu Gott, den ganzen Sinn neu auf ihn ausrichten. Natürlich braucht es Motivation für die Fastenzeit, sich ganz bewusst einem Mangel auszusetzen, den Kampf mit dem Schweinehund und das Durchhalten, es braucht auch das Scheitern, um zu lernen, dass Gott einem immer eine neue Chance gibt, weil wir jeden Tag neu anfangen können. Es braucht die Auseinandersetzung mit biblischen Texten, mit Gebeten, mit der Passion Christi, damit christliches Leben in die Tiefe des Herzens einsinkt.
Nach gut zwei Stunden angeregten Diskussionen beschlossen wir den Abend mit dem gemeinsamen Gebet in der Galluskapelle, nicht ohne vorher noch über die nächsten Themen zu sprechen. Wir freuen uns auf das nächste Kapellengespräch, vielleicht auch mit Ihnen.